Heinrich Beer

Der Allmächtige schenke Dir eine dauerhafte Gesundheit und lasse Dich so viele Freuden dies Jahr erleben, als ich Leiden und Kummer habe, mehr brauchst Du nicht; Mir erhalte Deine alte Liebe und Wohlwollen, da Du der Einzige bist, der doch noch weiß daß ich in der Welt lebe und bin.

Wie mag es im Innern eines Menschen aussehen, der solche Worte schreibt? Zufrieden, glücklich? Anscheinend nicht, eher dürfte das Gegenteil der Fall sein. Heinrich Beer hinterließ diesen seelischen Fingerabdruck im Januar 1836 in einem Brief an seinen Bruder Giacomo in Paris, wo die Vorbereitungen zur Uraufführung der Hugenotten (29. Februar 1836) in vollem Gange waren. Während Giacomo von Erfolg zu Erfolg eilte, wurde der drei Jahre jüngere Heinrich nicht gerade vom Glück verwöhnt. Ganz im Gegenteil. Heinrich war quasi ein Anti-Beer, der sich über Konventionen mit einer Leichtigkeit des Seins hinwegsetzte. Das sorgte in der Familie für manches Unbehagen. Heinrich hat sich der Spontaneität des Augenblicks hingegeben. Paradebeispiel: Spazierstöcke für 6000 Taler. In Anbetracht der hohen Summe dürften es nicht wenige gewesen sein. Für jeden Tag einen. Mindestens. Heinrich war unberechenbar und uneinsichtig, beratungsresistent und wahrscheinlich manisch-depressiv. Hinzu kam ein unbändiges Verlangen nach erotischen Zerstreuungen. Letztlich dürfte sich die Familie für ihn geschämt haben. Dabei war Heinrich keineswegs ein Dummkopf. Im Gegensatz zu seinen Brüdern führte Heinrich ein geradezu hedonistisches Leben. Er verschleuderte sein Vermögen und sorgte für manches Aufsehen in der Berliner Öffentlichkeit. Die Gala hätte große Freude an ihm. Lea Mendelssohn Bartholdy, die einen guten Blick hatte, schrieb nach Heinrichs Ableben an ihre Cousine Henriette von Pereira-Arnstein, Heinrich hätte die schöne Facade der Familie zerstört. Lea war eine kluge Frau.

Sammlung T.K.

Heinrich, von dem keinerlei Bildnis existiert, was tief blicken lässt, war das Enfant terrible, das schwarze Schaf und Sorgenkind der Familie. Er war in Skandale und Betrügereien verwickelt, berüchtigt für seine sexuellen Eskapaden und Extravaganzen. Heinrich gelang es nicht, sich aus den übermächtigen Schatten seiner erfolgreichen Brüder zu lösen und eigene Akzente zu setzen. Seine Ehe ging in die Brüche, und letztlich wurde er unter Kuratel gestellt. Mit 48 Jahren starb er an den Spätfolgen der Syphilis. Bei seinen jugendlichen amourösen Exzessen hatte er sich den Franzosen eingefangen und infolge der Syphilis eine progressive Paralyse mit expansiven Zügen entwickelt, die als manisch gedeutet werden kann. Heinrich hinterließ ein uneheliches Kind, Leopold, für das Meyerbeer später immer noch Alimente bezahlte.

Sammlung T.K.

Heinrich (Henoch, Hans) Beer wurde am 6. Juli 1794 in Berlin geboren. Wie alle seine Brüder erhielt er eine umfassende Bildung. 1803 trat er mit seinem Bruder Meyer in die Berliner Singakademie ein, wo er bei zahlreichen Konzerten mitwirkte. Als sich Meyerbeer am 1. April 1810 auf den Weg nach Darmstadt machte, um bei Georg Joseph Vogler Komposition zu studieren, begleiteten ihn sein Bruder Heinrich, der gemeinsame Erzieher Aaron Wolfssohn und ein Bedienter. Wolfssohn sollte besonders ein Auge auf Heinrich werfen und ihm als moralische Instanz zur Seite stehen, damit er bloß keine Dummheiten mache. Das ging aber gründlich daneben, denn Heinrich interessierte sich brennend für eine gewisse Eva, die im Hause Vogler für das leibliche Wohl sorgte. Die Köchin wurde von Heinrich mit glühenden Liebesbezeugungen überschüttet, mit dem Resultat, dass Meyerbeer die Briefe mit der Unterstützung Wolfssohns und erheblicher Geldzuwendungen zurückkaufte. Am 18. Januar 1812 teilt Meyerbeer seinen Vater mit, die missliche Angelegenheit sei bereinigt.

Mit dem Prachtexemplar (d.i. die Köchin) ist alles berichtigt Vogler und ich haben sie dazu gebracht, daß sie uns das Corpus delicti die Billets doux (übrigens sehr dur für uns) freiwillig ausgeliefert hat.

Eva wurde anschließend aus Voglers Diensten entlassen.

Sammlung T.K.

Im März 1816 verliebte sich Heinrich in Berlin in die 1793 geborene Betty Meyer (1793-1850. Deren Mutter Recha Meyer (1767-1831) war eine Tochter Moses Mendelssohns. Recha und ihr Bruder Joseph (1770-1848), der älteste Sohn Moses Mendelssohns (1729-1786), konvertierten nicht zum Christentum. Rechas Ehe mit Mendel Meyer ging in die Brüche, wurde geschieden, und jeder ging fortan seine eigenen Wege. Recha gründete in Hamburg eine Erziehungsanstalt für jüdische Mädchen im Zuge der jüdischen Aufklärung und Bildungsoffensive. Rebecka (Betty) stieg 1807 in das Institut ein, doch die Geschäfte laufen wider Erwarten nicht gut, und 1816 ziehen Mutter und Tochter nach Berlin, wo sich die Wege Heinrichs und Bettys kreuzten und er um ihre Hand anhielt. Den Überlieferungen nach hatte Betty lange gezögert, den Heiratsantrag anzunehmen, vielleicht erahnte sie Heinrichs zügellosen Charakter, letztlich hat sie sich damit aber arrangiert. Möglich wurde die Hochzeit am 5. September 1818 aber erst, als Betty wieder zum Judentum zurückkehrte. Angeblich wurde Betty in jungen Jahren getauft. Für die streng jüdische, aber nicht orthodoxe Familie Beer kam nur eine jüdische Verbindung ihres Sohnes Heinrich in Frage. Die Hochzeit wurde im Hause Beer in der Spandauer Str. 72 feierlich begangen. Acht Tage später heiratete sein Bruder Wilhelm Doris Schlesinger. Der Königliche Kapellmeister Bernhard Anselm Weber komponierte für Betty und Heinrich ein Terzett für zwei Soprane und Tenor Hochzeit ist ein lieblich Klingen. Danach brannte das junge Paar erst einmal durch. Heinrich gehörte fortan zum Familienverband der Mendelssohns. In beiden Familien löste die Hochzeit zwischen Betty und Heinrich keine exorbitanten Begeisterungsstürme aus, was auch damit zusammen hängen mag, dass die nicht konvertierte Familie Beer die zum Christentum konvertierte Familie Abraham Mendelssohn Bartholdys (1776-1835) als Abtrünnige wahrgenommen hat. In einem Brief Amalie Beers an Meyerbeer vom 11. August 1818 schimmert zumindest ein gewisses Unbehagen durch.

Was die Verbindung Deiner Brüder betrift von denen sollst Du einen genauen Bericht erhalten so bald sie vollzogen sind. Hans wird sich bis Ende dieses Monaths und Wilhelm gleich in den ersten Tagen des Septembers verheirathen (…) und will Dich nun was angenehmes unterhalten.

Die Hochzeit des jungen Paares in Berlin war ein großes gesellschaftliches Ereignis. Am 26. September 1818 ließ Jacob Herz Beer seinen Sohn Meyerbeer in Venedig wissen:

Anbey ein Gedicht zu Wolff (d.i. Wilhelm Beer) von Weber und Gubitz verfertigt bey Hans waren eine Menge Ministr zu gegen die ich dazu eingeladen und hat da es ganz was Neues wahr vielen Beifall erhalten auch der Englische gesandte mit seiner ganzen Familie war zugegen.

Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847) Sammlung T.K.

Felix Eberty (1812-1884) erinnert sich in seinen Erinnerungen eines alten Berlins an die Hochzeit im Hause Beer.

Genau erinnere ich mich der Trauungen Wilhelm und Heinrich Beers, die sich rasch folgten und beide in einem stattlichen Hause vollzogen worden, das die Familie in der Spandauer Straße besaß. Wir Kinder wurden dahin mitgenommen. Mir schwebt noch das Bild einer erhöhten Estrade mit einem Baldachin in einem großen Saale voll geputzter Menschen vor. Die alte Frau Beer stand in größtem Staate gar majestätisch dabei, und ein türkischer Turban mit einer Reiherfeder, den sie auf dem Kopfe trug, imponierte mir gewaltig. Sonst weiß ich von der Feier nichts, als dass sich mit einem Male der Geruch des herrlichsten Kaffees verbreitete und dass die Herren und Damen mit Tassen umherstanden.

Sammlung T.K.

Heinrich und Betty Beer wirkten bei musikalischen Aufführungen in den Musiksalons der Familien Beer und Mendelssohn Bartholdy mit. Ganze Opern wurden mit Begleitung des Klaviers oder eines Orchesters aufgeführt. Einer der häuslichen Hits: die 54. Oper Domenico Cimarosas (1749-1801), die Opera buffa Il matrimonio segreto. Im Hause Mendelssohn Bartholdy sangen Heinrich und Betty In Felix‘ Die Soldatenliebschaft und Die Heimkehr aus der Fremde mit. Betty als Sopran und Heinrich als Tenor. Felix Vater Abraham Mendelssohn Bartholdy war eine Vertrauensperson Heinrichs. Er versuchte vergeblich, Einfluss auf den flatterhaften und unberechenbaren Heinrich zu nehmen.

Während der Abwesenheit Meyerbeers von Berlin führten Heinrich und Wilhelm Beer Verhandlungen über die Aufführungen der Meyerbeerschen Opern in Berlin. Gesprächspartner war in erster Linie Wilhelm Friedrich von Redern (1802-1883), seines Zeichen Generalintendant der Königlichen Bühnen Berlins. Redern war einer der Schlüsselfiguren im kulturellen Leben Berlin. Er diente den preußischen Königen Friedrich Wilhelm III., Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm I. Redern kannte die Familie Beer seit seiner Kindheit. Die Familien mochten und besuchten sich gegenseitig. Redern erbaute sich am Pariser Platz ein Palais, das berühmt für seine Gemäldesammlung war. Heute befindet sich dort das Hotel Adlon. Der komponierende Schöngeist Redern war zwar ein loyaler Royalist, der es sich aber ein Jahr vor seinem Ableben nicht verkneifen wollte, seine sicherlich hoch interessanten Memoiren in der Öffentlichkeit auszubreiten, was natürlich in gewissen Kreisen für Aufregung sorgte, mit dem Resultat, dass das Ganze zur Verschlusssache wurde, obgleich die pikanten Details und freimütigen Charakterzeichnungen königlicher Hoheiten sicherlich auf ein breites Publikumsinteresse gestoßen wären. Redern plauderte in seinen Lebenserinnerungen eines preußichen Oberstkämmerers und Generalintendanten aus den royalem Nähkästchen. Erst 2003 wurden die Memoiren Rederns veröffentlicht. Darin erzählt uns Redern auch so manche Geschichte aus dem Hause Beer, natürlich aus seiner Wahrnehmung und Perspektive heraus, ganz frank und frei. Als es 1832 zur Berliner Erstaufführung des Robert kam, reiste Meyerbeer erst gut zwei Wochen vor der geplanten Premiere am 20. Juni 1832 aus London an. In Berlin waren die Proben bereits in vollem Gange, und Redern war ob des Engagements seitens der Familie nicht wirklich begeistert. Redern schreibt in der dritten Person.

Man kann nicht gerade sagen, daß die Familie Meyerbeer die Aufführung der neuen Oper leicht gemacht hätte. Es war nicht allein Giacomo, der aufgeführt werden wollte, es war die ganze Familie, die sich in ihrem Triumphe zeigen wollte. Michael Beer, der Dichter, schickte dem Generalintendanten gleich nach dem der Klavierauszug des Robert, den Giacomo aus Paris dem Grafen zukommen ließ, ein Stück Schwert und Hand, die Brüder Heinrich und Wilhelm Beer wohnten später allen Proben des Robert bei und mischten sich derart in die Inscenesetzung, daß der Generalintendant gezwungen ward, sich solches ganz höflichst zu verbitten, worauf sie ihn dann beim Fürsten Wittgenstein (d.i. Wilhelm zu Sayn-Wittgenstein, 1770-1851, ein Vertrauter Friedrich Wilhelm III.) verklagten. Ja selbst die kluge, taktvolle Mama konnte sich in ihrem Mutterglücke nicht enthalten, nach der ersten Aufführung dem General-Intendanten ihre Ratschläge wegen der Wiederholungen an die die Hand zu geben, wie diese am zweckmäßigsten sollten eingetheilt werden u. s. w.

Sammlung T.K.

Heinrichs lockerer Umgang mit seinem üppigen Vermögen ermöglichte ihm 1829, den Teufelsgeiger Nicolò Paganini (1782-1840), der sich auf einer umjubelten Konzertreise befand, privatissimo zu engagieren. Um wenigstens einen Teil der Unkosten zu generieren, verlangte er für ein Billet üppige 2 Taler Der reißende Absatz war dennoch garantiert, denn tout Berlin war verrückt nach Paganini. Die Anwesenheit Paganinis bot reichlich an Gesprächsstoff. Das erste öffentliche Konzert fand am 4. März 1829 statt. Fanny Hensel (1805-1847) war überaus fasziniert und notiert in ihr Tagebuch:

Paganinis erstes Concert. Ich werde mir Zeit nehmen, mehr über dieses höchst wunderbare, unbegreifliche Talent, über diesen Menschen, der das Ansehen eines wahnsinnigen Mörders, und die Bewegungen eines Affen hat hat. Ein übernatürliches, wildes Genie. Er ist höchst aufregend und pikant.

Während seines Gastspiels in Berlin dinierte Paganini mehrfach im Hause Mendelssohn Bartholdy in der Leipziger Straße. Auf dem Grundstück befindet sich heute der Bundesrat. Felix reiste zu dieser Zeit durch England und Schottland und wird über alle Neuigkeiten aus Berlin auf dem Laufenden gehalten. Im Juli 1829 lässt Fanny ihren Bruder wissen:

Alle Briefe, die Du heute empfängst, werden von Paganini widerhallen, was soll ich noch hinzufügen? Dies: daß ihm nämlich Beckchen (d.i. Rebecka Mendelssohn Bartholdy, 1811-1858) bei Betty gräulich die Cour gemacht hat. Nachdem sie mehreremal zu ihm gegangen war, u. ihn angeredet hatte, auch Apfelsinen, die er gemantscht, gegessen hatte, gingen wir zu Tisch. Bei uns war ein Platz leer, u. als der große Heinrich im Triumpf seinen Minister Paganini hereinführte, sprang das Zöpchen auf, lief ihm entgegen, u. bat ihn, sich zu uns zu setzen.

Sammlung T.K.

Am 26. September 1831 stirbt in Teplitz im Alter von gerade einmal 10 Jahren Ludwig Anton Beer an den Folgen einer Hirnhautentzündung. Es war das einzige Kind des Paares Betty und Heinrich Beer. Betty war demoralisiert, denn fünf Monate zuvor hatte sie den Verlust ihrer Mutter zu beklagen Die Ehe zwischen Betty und Heinrich existierte zu dieser Zeit nur noch auf dem Papier, wie aus einem Brief Lea Mendelssohn Bartholdys an ihre Cousine in Wien zu erfahren ist.

Wie man dem Tode nicht entläuft, davon erfahre ich aber einen höchst betrübenden, mich ganz niederschlagenden Beweis. Betty und Heinrich Beer sind der Cholera wegen länger, als nöthig, in Teplitz geblieben, und haben das unaussprechliche Unglück gehabt, dort ihr einziges Kind an einer Gehirnentzündung zu verlieren. Es war ein sehr schöner Knabe von 10 1/2 Jahren, üppig von herber Gestalt und Lebenskraft, ihr ganzer Abgott und der einzige Vereinigungspunkt ihrer sonst sehr auseinander gehenden Lebenswege. Wie gräßlich ich das Geschick der armen Betty finde, die vor 5 Monaten auch ihre vortreffliche Mutter verlor. Sie verliert Alles in diesem hoffnungsvollen Knaben. Ich fürchte auch den Eindruck den es auf meinen Mann machen wird, der sehr an diesem seinem Großneffen hing.

Sammlung T.K.

Zum Freundeskreis Heinrich Beers zählte der Philosoph Georg Friedrich Wilhelm Hegel (1770-1831), der einen mitfühlenden Kondolenzbrief schrieb.

Es ist mit unendlichem Schmerz, daß ich diesen Abend erfahren muß, welch ein ungeheurer Schlag des Unglücks Sie, mein lieber, wertester Freund, in Gemeinschaft mit Ihrer lieben, vortrefflichen Frau, betroffen hat. Man hat es bis zum Abend mir verborgen, ich hätte sonst sogleich versucht, Sie zu sprechen, nicht, um Ihnen Worte des Trostes, – denn ich wüßte dermalen noch keine, die in diesem unmittelbaren, so neuen Leid Platz greifen könnte, – sondern nur meine Mitempfindung zu bringen, Ihren Schmerz zu teilen und solchen unersetzlichen Verlust mit zu beklagen. Ich hätte Sie nur das fragen können, was ich meine Frau bei einem ähnlichen aber frühen Verlust des noch einzigen Kindes fragte, ob sie es vorziehen könnte, das Glück, ein solches Kind gehabt und in seiner schönsten Zeit gehabt zu haben und dessen verlustig zu werden oder aber dieses Genusses gar nicht teilhaftig geworden zu sein. Ihr Herz wird dem ersten Falle, der der Ihrige ist, den Vorzug geben. – es ist vorbei! – Es bleibt Ihnen aber die Empfindung jenes Glücks, die Erinnerung des lieben Knaben, seiner Freuden, seiner glücklichen Stunden, seiner Liebe zu Ihnen und zu seiner Mutter und seiner kindlichen Sinnigkeit wie seine Gutmütigkeit und Freundlichkeit gegen jeden. Seien Sie nicht undankbar gegen die Befriedigung und das Glück, das Sie genossen; behalten Sie dessen Andenken lebhaft und fest vor sich gegen den Verlust der Gegenwart; so ist Ihnen der Sohn und der Genuß, den Sie in dem Besitz desselben gehabt, unverloren. Es ist dies ein Moment Ihres Lebens und der harten Lebenserfahrung, in welchem Ihre im ruhigen Verlauf des Lebens auf den höchsten Wert anzuschlagende Gutmütigkeit und Menschenliebe auch die innere Stärke eines noch tiefern Grundes zu bewähren hat, damit das Vermögen des Geistes, auch solches zu ertragen, sich beweisen kann. Ich drücke Ihnen mit dem innigsten Schmerze der Freundschaft die Hand: – ich werde Sie morgen vormittag sehen, ob ich Sie sprechen kann. Sprechen Sie auch Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin meine lebhafteste Mitempfindung aus. Meine Frau, tief erschüttert von solcher Nachricht, trägt mir auf, Sie und Ihre Frau Gemahlin ihres innigsten Anteils zu versichern.

Ludwig Beer wurde im Familiengrab auf dem Jüdischen Friedhof an der Schönhauser Allee beigesetzt. Hegel verstarb am 14. November 1831 an den Folgen der Cholera.

Photo: T.K.

Am 30. Dezember 1832 dinierte Felix Mendelssohn Batholdy bei Betty und Heinrich Beer in der Behrenstraße 22. Ein durchaus historisches Datum, denn Felix komponierte im Verlauf des Abends den langsamen Satz des Konzertstückes in f-Moll für Klarinette, Bassethorn und Klavier, op. 113, bekannt mit dem bezeichneten Untertitel Die Schlacht bei Prag, das er dem ausgezeichneten Klarinettisten Heinrich Joseph Baermann (1784-1847) widmete.

Beim Adagio wollte ich Dir eine Erinnerung an das letzte diner bei Heinrich Beer mitgeben, wo ich es componiren mußte, die Clarinett malt meine Sehnsuchtsgefühle, während die Bewegung des Bassehornes mein Bauchknurren vorstellt.

Leider wissen wir nicht, womit Felix seinen knurrenden Magen gestillt bekam.

Sammlung T.K.

1835 kam es zu einem erneuten Skandal im Hause Beer. Heinrich unternahm mit Betty eine längere Reise nach Wien, wo er eine Affäre mit einer Schauspielerin hatte. Heinrich, der augenscheinlich ein einnehmendes Wesen hatte, lieh sich von Therese Peche (1806-1882) einen nicht unerheblichen Geldbetrag und machte sich aus dem Staube und dachte, es würde schon alles gut gehen, was aber ein Trugschluss war. Jene Therese Peche, ein Ensemblemitglied des Burgtheaters, dinierte im Hause Mendelssohn Bartholdy, und die unvermutete Wiederbegegnung mit Heinrich dürfte zu atmosphärischen Störungen während des Abends geführt haben, für Heinrich war es peinlich, wenn überhaupt. Gegenüber ihrer Cousine Henriette von Pereira-Arnstein (1780-1859) in Wien läßt Lea die Ereignisse des Abends Revue passieren und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund

Eben verlässt mich das von Dir empfohlne hübsche angenehme Mädchen, Mlle. Peche, und die Haare stehen mir immer noch über ihre mitgetheilte Geschichte mit Heinrich Beer zu Berge, liebste Freundin! Ich traute ihm zwar längst alle Abgeschmacktheit, Dummheit, Ausschweifung, Verschwendung zu, aber einen Leichtsinn der zur niederträchigsten Schlechtigkeit führt, doch nicht! Es hat mich wirklich niedergedonnert, und meinen redlichen Mann innerlichst betrübt und ergriffen. Wollte Gott, das arme liebe Mädel wäre erst wieder zu ihrem Gelde! Septimus (d.i. Abraham Mendelssohn Bartholdy) schreibt heut noch Deinem Louis (d.i. Ludwig von Pereira-Arnstein (1803-1858)), damit er möglicherweise die Wechsel auf Ebers dort einkaßire; da die Verfallzeit aber längst vorüber ist, so zweifle ich an dem Gelingen, und sehe dann wirklich keinen Ausweg, als Beer zu verklagen! was freilich auch nicht viel helfen wird, da er den größten Theil seines Vermögens durchgebracht hat und schon lange v. seinem Bruder (d.i. Wilhelm Beer) aus der Handlung gestoßen wurde. (…) Vor 8 Tagen hatten wir sie zum diner hier, und da sie niemand v. allen Anwesenden kannte und ich des fatalen Heinrichs für alles was Schauspiel heißt, glaubte ich es recht gut zu machen, wenn ich sie neben ihm placirte, was mir wie ich jetzt weiß, doppelt schlecht gelang, denn 1.) war er sehr verlegen sie bei uns zu finden, was ihm ganz überraschend war, und 2.) schien es Betty’n unangenehm, da sie wohl in Wien etwas gemerkt haben mochte. Kurz, ich habe die Peche heut aus gutem Herzen recht um Verzeihung gebeten, und die ganze abscheuliche Geschichte tut mir in hohem Grade weh! Meine Kinder behaupten immer, wenn wir von der Liebenswürdigkeit und dem Werth der meisten Mitglieder unserer Familie sprechen, Jakob Itzig und Heinrich Beer verdürben die Facade. Dieser abscheuliche Schlingel war mir v. je ein Greuel, denn ich behauptete stets, ein so bodenloser Leichtsinn mit dieser Dummheit gepaart, mache zu allem fähig.

Jakob Itzig (1764-1838) war ein Onkel Lea Mendelssohn Bartholdys. Jener Jakob hauchte sein Leben in einer sehr speziellen Umgebung aus. Pikanterweise endeten seine letzten Atemzüge in einem öffentlichen Hause, sprich Bordell. La petite mort. Immerhin ist er für Lea ein würdiges Gegenstück zu Heinrich Beer. Ja, ja die Moral.

Seine Liederlichkeit, Verschuldung und Betügereien hörten nie auf, und so hat der Tod ihn in einem öffentlichen Hause ereilt, wo er von niemand gekannt. (…) Die ganze Stadt spricht mit Abscheu von diesem unwürdigen Tode, und es ist ein gräßlicher Gedanke, wie solch Subjekt in der langen Reihe ehrenwerther, oft höchst ausgezeichneter Geschwister entstehen und eine schmähliche Laufbahn so beschließen konnte.

Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert.

1838 wurde es der Familie zu bunt, Gefahr lag im Verzuge. Heinrich wurde entmündigt und unter Kuratel gestellt, was bloß nicht an die Öffentlichkeit dringen sollte. Wilhelm Beer versuchte noch, seinen Einfluss geltend zu machen, was aber vergebens war. In den Zeitungen erschien eine sogenannte Prodigalitätserklärung , in der Heinrich sich zu seiner Verschwendungssucht zu bekennen hatte. Niemandem war es fortan gestattet, mit Heinrich finanzielle Geschäfte einzugehen.

Im Juli 1841 sorgte Heinrich erneut für familiäre Turbulenzen. Er hatte sich neu verliebt und spielte mit dem Gedanken, sich von Betty scheiden zu lassen. Meyerbeer versuchte, zwischen Betty und Heinrich zu vermitteln, was wohl fruchtete, denn in der Familienkorrespondenz gibt es zu dieser Angelegenheit keine Bezüge mehr.

Am 22. Oktober 1842 verstarb Heinrich plötzlich und unerwartet an einem Schlaganfall. Unsäglich groß war der Schmerz der Mutter. Drei ihrer vier Söhne hatte sie zu Lebzeiten zu beklagen. Michael starb 1833, Heinrich 1842 und Wilhelm 1850.

Heinrich Heine, ein großer Verehrer Amalie Beers, kondolierte am 2. November aus Paris.

Grabplatte Heinrich Beer auf dem jüdischen Friedhof an der Schönhauser Alle. Photo T.K.

Hochgeehrte Freundin! Gestern Abend hat mir unser theurer Meyerbeer die trübe Nachricht mitgetheilt von dem Verluste, den Sie erlitten. Ich eile, Ihnen mein Beyleid zu bezeugen, und ich bitte Sie, versichert zu seyn, daß Niemand mit größerem Mitgefühl jenen Kummer theilt, der Sie betrifft. Von Tröstung kann hier nicht die Rede seyn; nur Narren trösten und nur Menschen ohne Herz lassen sich trösten. Ich gehöre nicht zu ersteren und Sie nicht zu letzteren. Wenige Menschen tragen ein so reiches und gefühlvolles Herz in der Brust wie Sie; – und ich kann mir daher auch vorstellen, wie viel Sie leiden müssen! (…) Sie leben geehrt und geliebt in der Mitte einer blühenden Familie, deren Zukunft Ihnen keine Sorgen zu machen braucht, und Sie sind die Mutter eines Meyerbeers, dessen Glück und Ruhm ans Fabelhafte gränzt. Möge der Himmel Sie bald wieder herzlich erheitern! Ich hoffe, Sie nächstes Jahr gesund und froh hier in Paris zu sehen. (…) Ich möchte in diesem Augenblick bei Ihnen seyn und Ihnen schweigend die Hand küssen. Heinrich Heine.

Als Lea Mendelssohn Bartholdy ihrer Cousine von Heinrichs Ableben berichtet, sinniert sie über Schein und Sein der Beerschen Familie. Nach Außen hin wurde immer Haltung und Contenance bewahrt, nur, Heinrich ließ sich nicht bändigen, er fiel aus dem Rahmen. zum einen bedingt durch die fortschreitende Geschlechtskrankheit, zum anderen sind die Ursachen seines Fehlverhaltens auch psychologischer Natur. Als er etwa fünf Jahre alt war, begann die Karriere seines Bruders Giacomo, der zum Star der Familie wurde. So etwas kann wurmen und zu Reaktionen führen, gerade wenn sie mit Eifersucht daher kommen. Eine wirklich tragische Biographie.

Heinrich Beers plötzlicher Tod (er ward auf der Straße vom Schlage getroffen und starb wenige Tage darauf) hat ihn plötzlich zum Gegenstand des Mitleids und Bedauerns erhoben. Die Mutter, welche ihn, eben so wie die Frau in längster Zeit nicht gesehen, etablirten sich an seinem Bett und schienen in Verzweiflung, er hat niemand mehr erkannt und konnte also auch niemand mehr für dies tardive Beileid Dank wißen. Die umhergesandten Karten reden von einem unaussprechlichen Verlust! Damit kontrastirte etwas, daß er bei einem Schneider gewohnt und für 4 Groschen dinirt hatte. Sein hinterlaßnes Vermögen betrug noch über 100,000 rh. Freilich brachte dieser merkwürdige Verschwender sein ihm ausgesetztes Gehalt immer im Augenblick des Empfangs durch, und trotz der ProdigalitätsErklärung fand er Mittel, in Einem Jahr noch 7000 rh. Schulden zu machen; mit einiger Klugheit und Guthmüthigkeit wäre indeß doch möglich gewesen, ihm eine angemeßne Existenz zu sichern. Die Mutter ist im hohen Grade erschüttert, viel mag dazu beitragen, daß durch diesen unerwarteten Todesfall die ganze Lage so veröffentlicht, und sein Leben wie sein Ende ein Skandal geworden, denn im Testament hat er unter andern 10 natürlichen Kindern und vielen Damen Legate ausgesetzt. Man sagt, Betty sei nicht so situiert, wie man es dem noch immer großen Vemögen zufolge hätte erwarten können, da die zwei erbenden Brüder so sehr reich sind. Mich dauert die Mutter trotz allem, was ihre unweise Erziehung und Behandlung auch verschuldet haben mag; denn zu einem nicht abzuweisenden Naturgefühl gesellen sich noch Scham und Vorwurf. Das ganze Theaterpersonal folgte dem Begräbniß; um diese Menschen hat ers wirklich verdient, denn die waren stets Gegenstand seiner Anbetung und Verschwendung. Man sagt, auf die Aeußerung einer Sängerin, daß sie Leberwurst liebe, habe er ihr einen mit Centnern befrachteten Wagen voll geschickt & so forth.

Sammlung T.K.

Nach dem Ableben Heinrichs kümmerten sich Minna und Giacomo um ihre Schwägerin Betty. Minna und Betty fuhren zusammen in die angesagten Kurorte wie Karlsbad, Bad Gastein oder Baden-Baden. Minna kränkelte zusehends, und im September 1850 war mit dem Schlimmsten zu rechnen. Meyerbeer, der in Paris weilt, wird über Betty Gesundheitszustand über den Sekretär seiner Mutter, Georges Frédéric Burguis auf dem Laufenden gehalten. Tagebucheintrag vom 2. September 1850:

Durch Burguis Nachricht von der schmerzlichen Agonie meiner armen Schwägerin Betty. Gott der Allmächtige stehe ihr bei.

Am 5. September 1850 stirbt Betty Beer. Es ist Meyerbeers 59. Geburtstag, den er im belgischen Spa verbringt. Zwei Tage später erreicht ihn die traurige Nachricht aus Berlin. Tagebucheintrag vom 7. September:

Sonnabend … Die heutige Nacht wieder sehr unruhig geschlafen und böse geträumt. Es scheint wirklich, als ob ch während der Brunnenkur durchaus nicht das Abendarbeiten vertragen kann; denn so oft ich dies tue, habe ich eine böse Nacht. Ich werde also die 14 Tage, welche ich hier noch bleiben will, leider jeder Arbeit entsagen müssen. … Heute erhielt ich die traurige Nachricht, daß meine arme Schwägerin Betty den 5. … nach schrecklichem Leiden gestorben ist. Gott sei ihrer Seele gnädig und schenke ihr ewigen Frieden, ewige Seeligkeit.

Grabplatte für Betty Beer und ihre Mutter Recha Meier, geb. Mendelssohn. Photo T.K.

Heinrich Beers Freundschaft mit Hegel ging sogar in die Literaturgeschichte ein. In den 1854 verfassten Geständnissen Heinrich Heines, mit den Charakteren der Familie Beer bestens vertraut, setzt Heinrich Heinrich ein nachhaltiges Denkmal, natürlich auf seine ironische Art und Weise.

Ich sah, wie Hegel mit seinem fast komisch ernsthaften Gesichte als Bruthenne auf den fatalen Eiern saß, und ich hörte ihn Gackern. Ehrlich gesagt, selten verstand ich ihn, und erst durch späteres Nachdenken gelangte ich zum Verständnis seiner Werke. Ich glaube, er wollte gar nicht verstanden sein und daher sein verklausulierter Vortrag, daher vielleicht auch seine Vorliebe für Personen, von denen er wußte, daß sie ihn nicht verständen, und denen er umso bereitwilliger die Ehre seines nähern Umgangs gönnte. So wunderte sich jeder in Berlin über den intimen Verkehr des tiefsinnigen Hegel mit dem verstorbenen Heinrich Beer, einem Bruder des durch seinen Ruhm allgemein bekannten und von den geistreichsten Journalisten gefeierten Giacomo Meyerbeer. Jener Beer, nämlich der Heinrich, war ein schier unkluger Gesell, der auch wirklich späterhin von seiner Familie für blödsinnig erklärt und unter Kuratel gesetzt wurde, weil er anstatt sich durch sein großes Vermögen einen Namen zu machen in der Kunst oder Wissenschaft, vielmehr für läppische Schnurpfeifereien seinen Reichtum vergeudete und z. B. für sechstausend Taler Spazierstöcke gekauft hatte. Dieser arme Mensch, der weder für einen großen Tragödiendichter, noch für einen großen Sterngucker, oder für ein lorbeerbekränztes musikalisches Genie, einen Nebenbuhler von Mozart und Rossini, gelten wollte und lieber sein Geld für Spazierstöcke ausgab – dieser aus der Art geschlagene Beer genoß den vertrautesten Umgang Hegels, er war der Intimus des Philosophen, sein Pylades, und begleitete ihn überall wie sein Schatten. Der ebenso witzige wie talentbegabte Felix Mendelssohn suchte einst dieses Phänomen zu erklären, indem er behauptete: Hegel verstände den Heinrich Beer nicht. Ich glaube aber jetzt, der wirkliche Grund jenes intimen Umgangs bestand darin, daß Hegel überzeugt war, Heinrich Beer verstände nichts von alledem, was er ihn reden höre, und er konnte daher in seiner Gegenwart sich ungeniert allen Geistesergießungen des Moments überlassen.

Auch in Karl von Holteis Charpie. Eine Sammlung vermischter Aufsätze. Erster Band (1866) wird des armen Heinrichs und seiner Potenz gedacht. Im Kapitel Mama Beer gibt Holtei eine Anekdote zum Besten, die natürlich frei erfunden war.

Mama Beer zählte noch einen vierten Sohn, Heinrich mit Namen. Von dem hab‘ ich nicht viel zu berichten. Es cursirte ein Geschichtchen echt berlinischen Schlages, diesen Heinrich betreffend. Ein Fremder hätte der Mutter Glück gewünscht, daß sie den Gelehrten, den Dichter, den Componisten zu Söhnen habe; nur der Maler fehle ihnen. Dafür ist der Pinsel wenigstens vorhanden, wäre ihre Erwiederung gewesen. Wer die Verstorbene kannte, weiß auch, daß diese Anekdote erfunden ist. Denn so hart würde die alte Dame von Heinrich, trotz seiner Schwächen, nie geredet haben; und dann war dieser Nichts weniger als ein Pinsel. Ich wage kein Urtheil über ihn. Ich erwähne nur einen Umstand, der viel Gerede und viel Erstaunen erregte. Heinrich liebte zwei Dinge vorzugsweise: das Theater (das lag im Blute) und das Kartenspiel. Nicht etwa, daß er ein Hasardspieler von Profession gewesen wäre! Nein, er pflegte seine solide, spießbürgerliche, philisterhafte „Partie“, – mit wem aber pflegte er diese? Wer waren die drei Männer, die gewöhnlich an seinem Spieltisch saßen? Ein Kaufmann Sparkäse, ein Stallmeister Schur – und – und jetzt kommt der Gegenstand der Erstaunens: – Hegel, der Philosoph. „Das Sein ist das Nichts, und das Nichts ist das Sein“.

Wird ergänzt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert