Michael Beer

Michael Beer (1800-1833) Sammlung T.K.

Bei aller Weltbürgerschaft meiner Gesinnungen und Lieder möchte ich doch um Alles in der Welt nicht, daß der Grundton meiner Seele kein deutscher wäre. Michael Beer in einem Brief an Eduard von Schenk vom 4. Mai 1827.

Diese Seite befindet sich im Aufbau. Alle Zitate erscheinen im Fettdruck und sind belegt.

Am 19. August 1800 wird Michael Beer in Berlin geboren. Er ist der jüngste der vier Beerschen Brüder und wird sich als Schriftsteller einen angesehenen Namen machen. Michael stirbt am 22. März 1833 in München, wo er seine letzte Ruhestätte auf dem Alten Israelitischen Friedhof in Sendling findet. Am Familiengrab auf dem Jüdischen Friedhof an der Schönhauser Allee erinnert eine Gedenktafel an den früh verstorbenen Michael.

Wie Giacomo, so ist auch Michael in ein dichtes Netzwerk bekannter Persönlichkeiten eingebunden. August von Platen-Hallermünde, Heinrich Heine, Victor Hugo, Jules Janin, Eduard von Schenk, Ludwig I. von Bayern, Alexander von Humboldt, Friedrich Wilhelm von Schadow, Johann Jacob Nöggerath, Felix Mendelssohn Bartholdy, Franz Grillparzer, Wilhelm Hauff, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Adolf Wilhelm Schlegel, um nur die bedeutendsten Namen zu nennen. Nicht zu vergessen sei die Freundschaft mit Karl Leberecht Immermann, Schöpfer des unsterblichen Münchhausen.

Michael besucht das Friedrichwerdersche Gymnasium, dessen Gründung auf das Jahr 1681 zurückgeht. Neben dem Französischen Gymnasium (1689), dem Berlinischen Gymnasium zum Grauen Kloster (1674; heutiger Name: Evangelisches Gymnasium zum Grauen Kloster) und dem Friedrich-Wilhelms-Gymnasium (1797-1943)) gehört das Friedrichwerdersche Gymnasium zu den traditionellen Schulen Berlins. Michael erfährt eine humanistische und wissenschaftliche Bildung. Griechisch und Latein stehen auf dem Stundenplan, sowie Geschichte, Literatur, Mathematik und Erdkunde. Er spricht Französisch und Italienisch und genießt darüber hinaus das Privileg individueller Erziehung. Diese Aufgabe übernimmt der charismatische jüdische Prediger Eduard Kley (1789 – 1867), einer der frühen Pioniere des Reformjudentums. Das Haus Beer gehört bekanntlich dem liberalen Flügel der Jüdischen Gemeinde an.

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Schon früh entwickelt sich Michaels Neigung und sein Talent zur dramatischen Poesie. Im Hause der Eltern erlebt Michael die ersten darstellenden Künstlerinnen und Künstler des Berliner Theaters und erregt die Aufmerksamkeit des Schauspielers, Intendanten und Dramatikers August Wilhelm Iffland (1759 – 1814) und der Schauspielerin Friederike Auguste Conradine Bethmann (1760 – 1815), die mit ihm den Vortrag einiger Gedichte bei häuslichen Festen einstudiert. Iffland und Bethmann sterben, ohne die Entfaltung dieses jugendlichen Talentes zu erleben. An ihre Stelle tritt das Schauspielerehepaar Amalie (1780 – 1851) und Pius Alexander Wolff (1782 – 1828), die 1815 in Berlin engagiert werden. Die Schauspielerin Auguste Crelinger (1795 – 1765), die u. a. als Iphigenie, Antigone, Maria Stuart und Lady Macbeth auf der Bühne des Königlichen Hoftheaters große Erfolge feiert, fördert bereits ab 1812 den jungen Schriftsteller und Dramatiker.

Klytemnestra

1817 dichtet Michael seine erste Tragödie Klytemnestra, die am 8. Dezember 1819 erstmals auf dem Königlichen Theater in Berlin zur Aufführung gelangt. Der Königliche Kapellmeister Bernhard Anselm Weber komponiert dazu die Schauspielmusik, die als verschollen gilt. Später wird das Schauspiel auch im Königlichen Theater in Wien aufgeführt. Bis heute ist Michaels Drama Klytemnestra in der Versenkung verschwunden und harret der Wiederentdeckung. Michael widmet sein erstes Bühnenwerk seinem Bruder Giacomo.

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Klytemnästra, die ihren Gatten Agamemnon nicht geliebt hat, ist wegen der Opferung ihrer Tochter Iphigenie in ihren Gefühlen als Mutter tödlich getroffen. Während der langen Abwesenheit ihres Gemahls im Trojanischen Krieg fühlt sie sich zu Aegisth leidenschaftlich hingezogen, mit dem sie sich in dem Augenblick vermählen will, als der totgeglaubte Agamemnon heimkehrt. Sie beschließt, den Gatten selbst zu töten. Nach der Heirat mit Aegisth muss Klytemnästra jedoch erkennen, dass der geliebte Mann sie nur zur Ehefrau genommen hat, um selbst zu herrschen. Gedemütigt, beschließt die Königin, auch ihn zu ermorden. Diese Gelegenheit ergibt sich, als in Mykene ein Fremder erscheint, der die Nachricht vom Tode Orests verbreitet; dieser Fremde, den der Zuschauer längst als Orest erkannt hat, ist jedoch in die Stadt gekommen, um Agamemnons, seines Vaters, Tod zu rächen. In Aegisth sieht er den Mörder – die Mutter ist insofern nur schuldig, als sie den Mörder geheiratet hat. Als Klytemnästra den Fremden zur sträflichen Tat an Aegisth überreden will, schildert sie die damalige Mordnacht und somit ihre eigene Tat.

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Orest erschlägt Aegisth meuchlings und dann die eigene Mutter, die ihn, erst jetzt als ihren Sohn erkennend, verflucht. Die Szenenfolge ist ein wohlgeformtes Werk nicht eines Schülers der Alten, sondern eines jungen Literaten, der aus dem antiken Stoff die Forderungen der neuen Zeit entwickelt, der nicht konventionell denkt, sondern allgemein menschliche Empfindungen gestaltet. Es ist die Tragik des Orest, des Sohnes, der den Mörder des Vaters töten will, also die Schuld an den Schuldigen zu strafen bereit ist, um dann zu erfahren, dass er, wenn er gerecht sein will, seine eigene Mutter töten muss.

Sammlung T.K. Meyerbeer vertonte einige Gedichte seines Bruders Michael. Titellithographie von Menschenfeindlich (frz. Ausgabe Seul)

Michael schreibt sich in die neu gegründete Universität zu Berlin ein – die heutige Humboldt-Universität -, studiert Geschichte und Philosophie und belegt wissenschaftliche Fächer. Einen starken Eindruck hinterlassen bei ihm die Vorlesungen Georg Wilhelm Friedrich Hegels, mit dem er auch, wie sein Bruder Heinrich, einen privaten Umgang pflegt. Später bedauert er, juristische Kollegien, namentlich den großen Friedrich Carl von Savigny, nicht gehört zu haben.

Die Bräute von Aragonien

Bereits als 17jähriger reist Michael nach Italien, besucht alle größeren Städte und studiert die Denkmäler der Kunst und Geschichte. In Italien entsteht sein neues Trauerspiel in fünf Aufzügen Die Bräute von Aragonien, das in Neapel vollendet wird, inspiriert von Goethe’s Die Braut von Corinth, ein Werk des Dichterfürsten, das die erotische Freizügigkeit während seines Aufenthaltes in Rom widerspiegelt. Der so genannten guten Gesellschaft ist die Ballade selbstverständlich bekannt, wird aber ob des Inhalts verpönt. In Berlin erblicken die Bräute von Aragonien nicht das Licht der Bühne, nur in München und andernorts sind wenige Aufführungen dokumentiert. Zusammen mit Klytemnestra erscheinen die Bräute von Aragonien 1823 bei Brockhaus in Leipzig.

Der Tragödie liegt der Gedanke des Menschenhandels zugrunde; denn nichts anderes ist es, eigenes Wohlbefinden mit dem Opfer eines anderen Menschen zu erkaufen. Das Schauspiel ist eine sogenannte Tendenztragödie gegen erzwungenen Glauben, gegen erzwungene Klostergelübde, gegen den Frevel, mit der Opferung anderer das eigene Wohl erreichen zu wollen, nicht gegen den Glauben selbst. Es ist vordergründig ein Intrigenstück, das seine Entwicklung mit dem bewusst unterschobenen falschen Bildnis nimmt.

Eine Soirée im Hause Mendelssohn Bartholdy

Es ist Sonntag, der 6. April 1823, und wir befinden uns in der Leipziger Straße, in etwa dort, wo heute der Bundesrat seinen Sitz hat. Abraham Mendelssohn Bartholdy, ein Sohn Moses Mendelssohns, wohnt dort mit seiner Frau Lea und den Kindern Fanny, Felix, Rebecca und Paul. In Lea Mendelssohn Bartholdys Salon wird viel musiziert. Felix und Fanny sind die Stars der Familie. Neben dem Salon Amalie Beers ist Leas Salon der bedeutendste in Berlin. Es entspricht dem allgemeinen Usus, dass nicht nur Musik erklingt, sondern auch die Rezitation von Gedichten und ganzer Dramen, die mitunter gemeinsam gelesen und dabei genussvoll zelebriert wurden. Leseabende! Liest die Autorin oder der Autor in Persona, sitzt er oder sie in einem Fauteuil und hat die Zuhörer dabei fest im Blick. Das Leben ist ein Drama! Mimik, Gestik, Tonfall, Artikulation geben sich ein Stelldichein. Johann Gottlieb Klopstock ist schon zu Lebzeiten eine Legende in der Darbietung eigener Werke, Ludwig Tieck ist ein ebenso begnadeter Vorleser, aber ganz oben steht natürlich Alexander von Humboldt, ein sehr guter Freund der Familien Mendelssohn und Beer. Er ist in allen Salons gefragt, manchmal hat er bis zu drei Termine an einem Tag. Ungeduldig wird er erwartet und freudig begrüßt. Ein Sessel steht für ihn bereit, er macht es sich bequem, alle scharren sich um ihn herum und lauschen gebannt seinen Ausführungen. Humboldt erzählt von Sternen oder von seinen Erlebnissen in Südamerika, und niemand kann sich an ihm satt hören. Dann erhebt er sich, verabschiedet sich, was natürlich von allen Anwesenden bedauert wird und geht ein paar Hausnummern weiter.

Heute sitzt also Michael auf dem bequemen Möbel, lässt seine Blicke schweifen und beginnt unter Einsatz aller Kräfte mit der Rezitation der Bräute von Aragonien. Lea Mendelssohn Bartholdy lässt in einem Brief vom April 1823 an Amalie Beer den Abend Revue passieren. Die Mütter sind stolz auf ihre Kinder.

Wir haben dem ausgezeichneten Talent ihres jüngsten Sohnes einen so interessanten Abend zu verdanken, beste Madame Beer! daß es mir wahres Bedürfniß ist, Ihnen meine Empfindung darüber auszusprechen. Wir Mütter kennen u. haben ja keinen ächtern Genuß, als den, uns in höhern Geistesgaben geliebter Kinder stolz u. froh zu fühlen. Doppelt gönnte die freigebige Natur das Glück Ihnen, u. wer verdiente es wohl mehr? – Michaels Stück übertraf meine Erwartung ungemein; es ist ergreifend, wahrhaft tragisch, die Charaktere sind schön u. gehalten, die Sprache edel u. dichterisch, selbst eine der Jugend verzeihliche Breite ist weise vermieden, u. da es beim Lesen schon eine so rührende Wirkung hervorbringt, wie viel muß es noch bei der Darstellung gewinnen! Bloß über die Geistererscheinung waren wir mit ihm nicht einverstanden, so wie wir auch gewünscht hätten, daß er vor der Ueberlieferung zum Druck leise Spuren von Nachlässigkeit verbessert hätte, die mit einem Federzug zu verwischen waren, u. an die ein kritisirendes, unbarmherziges Recensentenvolk sich doch mit Scheingründen hängt. Um mich über das aufzuklären, was das vortreffliche Vorlesen vielleicht Bestechendes über das Urtheil üben könnte, las ich das Stück am folgenden Morgen einsam u. ernsthaft durch, u. fand mich nicht weniger angezogen. Hätte der junge Dichter das Geisterwesen verschmäht, so würde das Werk rein dastehen mit den klassischsten seiner Art; der Inhalt ist interessant genug, jede äußere Zuthat à la Grillparzer entbehrlich zu machen; u. da wir Deutsche jetzt des Vorzugs genießen, ins Französische übertragen zu werden, so hätte er den Vorwurf vermieden, in unsrer Tragödie stets an das Melodramatische zu streifen. Ich weiß übrigens nicht, liebste Frau Beer! ob es Tadel oder Lob heißt, wenn Michael mich versichert, keine Thränen seien ihm schmeichelhafter als die meinigen gewesen: (Sie ersehen daraus, daß er, obgleich selbst Vorleser, doch Autor genug war, nach dem Effekt den er auf die Zuhörer hervorbrachte, prüfend umherzuschauen;) aber versichern kann ich, daß ich mich, trotz Runzeln und Falten, eines lebhaften, leicht angeregten, offenen Sinnes für Erzeugnisse des Geistes erfreue, u. daß ich ein heitres Wohlwollen frei u. unpartheiisch zu jedem Kunstwerk mitbringe.

Der Paria

Michaels bedeutendstes und hochgelobtes Trauerspiel in einem Aufzuge Der Paria erlebt seine Uraufführung am 22. Dezember 1823 auf dem Königlichen Theater zu Berlin. Der Paria ist der Kampf eines humanitär gesinnten Menschen, der sozial und rechtlich am Rande der Gesellschaft steht und staatlich diskriminiert wird.

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Der Paria Gadhi, der als Unreiner im indischen Kastenwesen verachtet wird, hat die zum Tode verurteilte Maja, Tochter eines reichen Rajah, gerettet, zur Frau genommen und lebt glücklich mit ihr. Benascar, ein verwundeter Krieger, findet Zuflucht in ihrer Hütte, wird von Maja verbunden und somit vorm Tode gerettet. Zum Dank will der die Retterin als Sklavin nehmen, muss aber erfahren, dass sie seine eigene Schwester ist, die seine Ehre mit ihrer Flucht und in der Verbindung zu einem Paria beschmutzt hat. Den Paria will er hinrichten lassen, Maja und ihr Kind will er jedoch retten. Um von ihrem geliebten Gadhi nicht getrennt zu werden, teilt Maja mit ihm den giftigen Saft einer Frucht, so dass die rachesüchtigen Priester, als sie am Ort des Geschehens erscheinen, zwei Tote vorfinden.

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Michael zeigt sich nach der erfolgreichen Uraufführung sichtlich erfreut und schreibt Ende Dezember 1823 an Giacomo. In der Familie Beer wurden die Anfeindungen, die die Juden seitens der Nichtjuden zu ertragen hatten, antennenhaft wahrgenommen und in etlichen Briefwechseln thematisiert. Besonders in Zeugnissen Michaels und Giacomos, die sich emotional sehr nahe standen, wird dem Risches (=Judenhass) eindringlich Ausdruck verliehen, worüber weiter unten mehr zu erfahren sein wird.

Mein theurer Bruder! Ehe ich zur Beantwortung Deines lieben Briefes und überhaupt zu einer recht langen schriftlichen Unterhaltung mit Dir schreite mußt Du mir erlauben Dir mit diesen wenigen Zeilen anzeigen zu dürfen, daß mein „Paria“ den 22ten dieses gegeben und mit einem Beifall aufgenommen worden ist der alle meine Erwartungen und meine kühnsten Hoffnungen überstiegen hat. Erspare mir die Details, die Dir Mutter und die Brüder wohl schon geschrieben haben werden, und lasse mich weiter nichts hinzufügen als daß seit Jahren kein Trauerspiel, auf irgend einer deutschen Bühne, erschienen … ist, dessen Erfolg bei der ersten Darstellung so entschieden gewesen wäre. Auf alle Klassen und auf alle Stände hat es den gleichen Eindruck hervorgebracht und der Beifall ist so allgemein, daß in den Urtheilen darüber im Publikum sich bis jetzt auch nicht eine Stimme dawider erhoben hat. Ich würde nicht die Unbescheidenheit haben Dir dies selbst mitzutheilen, wenn ich nicht glaubte daß es gerade an mir ist, dem empfindlichsten und schärfsten Beobachter, denn das ist wohl jeder Autor bei der Aufnahme seines Produkts, Dir zu sagen daß bei dieser Gelegenheit, die sonstige oft besprochene Malice unserer Mitbürger, der Neid, der Risches, sich nicht einen Augenblick gezeigt haben. Das Publikum hat mit einer seltenen Intelligenz, die mich aufs höchste in Erstaunen gesetzt hat, nicht nur von Anfang an die Tendenz des Stückes begriffen, sondern auch durch den lautesten Beifall gebilligt. Die Rührung, die Stille, das rauschendste Applaudissements bei dem Hervorrufen der Schauspieler, deren Meister-Spiel freilich nicht wenig zu diesem ungewöhnlichen Erfolge beigetragen hat, waren mir die sichern Bürgen eines Enthusiasmus den ich, das wirst Du leicht begreiflich finden, auch nicht auf die entfernteste Weise in Berlin zu erringen hoffte.

In der Allgemeinen Deutschen Biographie (Band 2, 1897) findet sich zu dem Trauerspiel der folgende Eintrag:

Der Paria, welcher sich auch Goethe’s warme Theilnahme errang, ist ausgezeichnet durch die ergreifende Darstellung des Kampfes, welchen eine edle Natur gegen drückende und erniedrigende Satzungen und Verhältnisse der bestehenden Sitte und Staatsidee kämpft; es ist der Schmerzensschrei über die Pariastellung des Judenthums.

Michael Beers erster und bisher einziger Biograph Eduard von Schenk, der 1835 auf Veranlassung der Familie sämtliche Werke des Dichters herausgab, bezieht sich in den einleitenden Worten zu dieser Gesamtausgabe auch auf den Paria, wobei das eigentlich Wesentliche zwischen den Zeilen zu lesen ist, wenn sich Schenk auf die nicht näher ausgeführte Nebenabsicht des Paria bezieht: die Sensibilisierung für die Paria-Stellung, Diskriminierung und Stigmatisierung der jüdischen Minderheit.

Sprache und Charakterzeichnung verrathen schon die geübte Hand des werdenden Meisters und wenn die Entstehung dieses Werkes vielleicht noch eine Nebenabsicht zum Grunde lag, so ist dieselbe doch nur durch die Sache selbst angedeutet und tritt nirgends in subjectiver Rhetorik hervor.

Michael Beer war von nicht großem, etwas gedrungenem, kräftigem Körperbau, seine Gesichtsbildung sprechend und edel, große Züge, gesunde Farbe, eine starke, gebogene Nase, ein großer Mund mit feinen Lippen und voll schöner Zähne, höchst lebendige, geistvolle, ja feurige dunkelbraune Augen, deren Feuer jedoch der freundlichste Ausdruck milderte. Sein Haar war schwarz, begann jedoch schon dünner zu werden. Sein Bildnis, welches Hanfstengel in München nach dem Leben lithographirt hat, ist vollkommen ähnlich. Seine Bewegungen waren nicht gerade anmuthsvoll, aber höchst anständig, gewandt und lebendig; man sah in ihm den Mann, der von Jugend auf in der besten Gesellschaft und viele Jahre hindurch in einer Weltstadt gelebt hatte, die sich mit Recht des feinsten geselligen Tons in Europa rühmen kann. Sein Organ war kräftig und jeder Modulation fähig, daher zum Vortrage dramatischer Werke sehr geeignet, wie er denn auch solche oft und gern vorlas.

Eduard von Schenk, ein studierter Jurist und Dichter, lernt Michael Beer 1826 in München kennen. Beide schließen eine innige Freundschaft, die von tiefer Zuneigung geprägt ist – mehr als nur eine Seelenverwandtschaft. Zwei Jahre nach dem frühen Ableben Michael Beers im Jahr 1835 gab Schenk auf Veranlassung der Familie sämtliche Werke seines Freundes bei Brockhaus in Leipzig heraus. Im ersten Kapitel des Buches zeichnet Schenk ein biographisches Charakterbild seines Freundes, woraus das obige Zitat entnommen ist, die Stationen seines Lebens und eine Einführung in dessen dramatisches Werk. Eduard von Schenk war es auch, der 1837, ebenfalls bei Brockhaus, Michael Beers Briefwechsel publizierte, die zum größten Teil die Korrespondenz mit dem Lyriker, Schriftsteller und Dramatiker Karl Leberecht Immermann (1796-1840) umfasst. Beer und Immermann kennen sich aus Düsseldorf. Immermann widmet Beer 1832 sein heiterstes Werk, das komische Heldenepos in drei Gesängen Tulifäntchen. Zum gemeinsamen Freundeskreis zählten Christian Dietrich Grabbe, Karl Gutzkow, Heinrich Laube, Friedrich Wilhelm von Schadow und Heinrich Freiligrath. Immermanns bekanntestes Buch ist der unsterbliche Münchhausen, eine Geschichte in Arabesken. Ansonsten sind seine Romane, Erzählungen und Schauspiele in der Versenkung verschwunden.

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Eduard Schenk wurde 1788 in Düsseldorf geboren. Schenk studierte Rechtswissenschaft in Landshut und promovierte als Doktor der Rechte und hatte u.a. Kontakte zu Friedrich Karl von Savigny. 1818 wurde er als Beamter in das bayerische Justizministerium übernommen und stieg bis zum Reichsrat auf. 1827 wurde er von Ludwig I. von Bayern in den Adelsstand erhoben und durfte sich Ritter von Schenk nennen. Schenk schrieb Gedichte, historische Schauspiele u.a. Henriette von England, Adolph von Nassau; das Trauerspiel Belisar und die Lustspiele, Die Griechen von Nürnberg und Albrecht Dürer in Venedig, das von Michael Beer befördert wurde. Eduard von Schenk und Michael Beer pflegen einen freundschaftlichen Verkehr mit Ludwig I. von Bayern. Der bayerische König ermöglicht die Uraufführung von Michael Beers Trauerspiel Struensee 1828 in München. Erst 1846 gelangt es zur Erstaufführung in Berlin, zu der Meyerbeer die Schauspielmusik komponiert. Darüber wird später mehr zu erfahren sein. In Schenks Haus verkehrten Heinrich Heine, Ludwig Tieck und Friedrich Rückert, mit Franz Grillparzer und Wilhelm Hauff steht er im schriftlichen Kontakt. Unerwartet verstirbt Eduard von Schenk, der 1827 geadelt wurde, im April 1842 in München.

Denkmal für Michael Beer in München auf dem Alten Israelitischen Friedhof), Entwurf: Leo von Klenze. Sammlung T.K.

Wird weiter ergänzt!

Grußworte

Wir freuen uns sehr über eine Grußbotschaft der Sängerin Marilyn Horne anlässlich der Gründung der Giacomo-Meyerbeer-Gesellschaft! Mit ihrer herausragenden Interpretation der Fidès in Le Prophète setzte sie internationale Maßstäbe.

Stammbaum der Familie

© Peter Stebel

Wilhelm Beer

4. Januar 1797 – 27. März 1850

Heinrich Beer

Der Allmächtige schenke Dir eine dauerhafte Gesundheit und lasse Dich so viele Freuden dies Jahr erleben, als ich Leiden und Kummer habe, mehr brauchst Du nicht; Mir erhalte Deine alte Liebe und Wohlwollen, da Du der Einzige bist, der doch noch weiß daß ich in der Welt lebe und bin.

Wie mag es im Innern eines Menschen aussehen, der solche Worte schreibt? Zufrieden, glücklich? Anscheinend nicht, eher dürfte das Gegenteil der Fall sein. Heinrich Beer hinterließ diesen seelischen Fingerabdruck im Januar 1836 in einem Brief an seinen Bruder Giacomo in Paris, wo die Vorbereitungen zur Uraufführung der Hugenotten (29. Februar 1836) in vollem Gange waren. Während Giacomo von Erfolg zu Erfolg eilte, wurde der drei Jahre jüngere Heinrich nicht gerade vom Glück verwöhnt. Ganz im Gegenteil. Heinrich war quasi ein Anti-Beer, der sich über Konventionen mit einer Leichtigkeit des Seins hinwegsetzte. Das sorgte in der Familie für manches Unbehagen. Heinrich hat sich der Spontaneität des Augenblicks hingegeben. Paradebeispiel: Spazierstöcke für 6000 Taler. In Anbetracht der hohen Summe dürften es nicht wenige gewesen sein. Für jeden Tag einen. Mindestens. Heinrich war unberechenbar und uneinsichtig, beratungsresistent und wahrscheinlich manisch-depressiv. Hinzu kam ein unbändiges Verlangen nach erotischen Zerstreuungen. Letztlich dürfte sich die Familie für ihn geschämt haben. Dabei war Heinrich keineswegs ein Dummkopf. Im Gegensatz zu seinen Brüdern führte Heinrich ein geradezu hedonistisches Leben. Er verschleuderte sein Vermögen und sorgte für manches Aufsehen in der Berliner Öffentlichkeit. Die Gala hätte große Freude an ihm. Lea Mendelssohn Bartholdy, die einen guten Blick hatte, schrieb nach Heinrichs Ableben an ihre Cousine Henriette von Pereira-Arnstein, Heinrich hätte die schöne Facade der Familie zerstört. Lea war eine kluge Frau.

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Heinrich, von dem keinerlei Bildnis existiert, was tief blicken lässt, war das Enfant terrible, das schwarze Schaf und Sorgenkind der Familie. Er war in Skandale und Betrügereien verwickelt, berüchtigt für seine sexuellen Eskapaden und Extravaganzen. Heinrich gelang es nicht, sich aus den übermächtigen Schatten seiner erfolgreichen Brüder zu lösen und eigene Akzente zu setzen. Seine Ehe ging in die Brüche, und letztlich wurde er unter Kuratel gestellt. Mit 48 Jahren starb er an den Spätfolgen der Syphilis. Bei seinen jugendlichen amourösen Exzessen hatte er sich den Franzosen eingefangen und infolge der Syphilis eine progressive Paralyse mit expansiven Zügen entwickelt, die als manisch gedeutet werden kann. Heinrich hinterließ ein uneheliches Kind, Leopold, für das Meyerbeer später immer noch Alimente bezahlte.

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Heinrich (Henoch, Hans) Beer wurde am 6. Juli 1794 in Berlin geboren. Wie alle seine Brüder erhielt er eine umfassende Bildung. 1803 trat er mit seinem Bruder Meyer in die Berliner Singakademie ein, wo er bei zahlreichen Konzerten mitwirkte. Als sich Meyerbeer am 1. April 1810 auf den Weg nach Darmstadt machte, um bei Georg Joseph Vogler Komposition zu studieren, begleiteten ihn sein Bruder Heinrich, der gemeinsame Erzieher Aaron Wolfssohn und ein Bedienter. Wolfssohn sollte besonders ein Auge auf Heinrich werfen und ihm als moralische Instanz zur Seite stehen, damit er bloß keine Dummheiten mache. Das ging aber gründlich daneben, denn Heinrich interessierte sich brennend für eine gewisse Eva, die im Hause Vogler für das leibliche Wohl sorgte. Die Köchin wurde von Heinrich mit glühenden Liebesbezeugungen überschüttet, mit dem Resultat, dass Meyerbeer die Briefe mit der Unterstützung Wolfssohns und erheblicher Geldzuwendungen zurückkaufte. Am 18. Januar 1812 teilt Meyerbeer seinen Vater mit, die missliche Angelegenheit sei bereinigt.

Mit dem Prachtexemplar (d.i. die Köchin) ist alles berichtigt Vogler und ich haben sie dazu gebracht, daß sie uns das Corpus delicti die Billets doux (übrigens sehr dur für uns) freiwillig ausgeliefert hat.

Eva wurde anschließend aus Voglers Diensten entlassen.

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Im März 1816 verliebte sich Heinrich in Berlin in die 1793 geborene Betty Meyer (1793-1850. Deren Mutter Recha Meyer (1767-1831) war eine Tochter Moses Mendelssohns. Recha und ihr Bruder Joseph (1770-1848), der älteste Sohn Moses Mendelssohns (1729-1786), konvertierten nicht zum Christentum. Rechas Ehe mit Mendel Meyer ging in die Brüche, wurde geschieden, und jeder ging fortan seine eigenen Wege. Recha gründete in Hamburg eine Erziehungsanstalt für jüdische Mädchen im Zuge der jüdischen Aufklärung und Bildungsoffensive. Rebecka (Betty) stieg 1807 in das Institut ein, doch die Geschäfte laufen wider Erwarten nicht gut, und 1816 ziehen Mutter und Tochter nach Berlin, wo sich die Wege Heinrichs und Bettys kreuzten und er um ihre Hand anhielt. Den Überlieferungen nach hatte Betty lange gezögert, den Heiratsantrag anzunehmen, vielleicht erahnte sie Heinrichs zügellosen Charakter, letztlich hat sie sich damit aber arrangiert. Möglich wurde die Hochzeit am 5. September 1818 aber erst, als Betty wieder zum Judentum zurückkehrte. Angeblich wurde Betty in jungen Jahren getauft. Für die streng jüdische, aber nicht orthodoxe Familie Beer kam nur eine jüdische Verbindung ihres Sohnes Heinrich in Frage. Die Hochzeit wurde im Hause Beer in der Spandauer Str. 72 feierlich begangen. Acht Tage später heiratete sein Bruder Wilhelm Doris Schlesinger. Der Königliche Kapellmeister Bernhard Anselm Weber komponierte für Betty und Heinrich ein Terzett für zwei Soprane und Tenor Hochzeit ist ein lieblich Klingen. Danach brannte das junge Paar erst einmal durch. Heinrich gehörte fortan zum Familienverband der Mendelssohns. In beiden Familien löste die Hochzeit zwischen Betty und Heinrich keine exorbitanten Begeisterungsstürme aus, was auch damit zusammen hängen mag, dass die nicht konvertierte Familie Beer die zum Christentum konvertierte Familie Abraham Mendelssohn Bartholdys (1776-1835) als Abtrünnige wahrgenommen hat. In einem Brief Amalie Beers an Meyerbeer vom 11. August 1818 schimmert zumindest ein gewisses Unbehagen durch.

Was die Verbindung Deiner Brüder betrift von denen sollst Du einen genauen Bericht erhalten so bald sie vollzogen sind. Hans wird sich bis Ende dieses Monaths und Wilhelm gleich in den ersten Tagen des Septembers verheirathen (…) und will Dich nun was angenehmes unterhalten.

Die Hochzeit des jungen Paares in Berlin war ein großes gesellschaftliches Ereignis. Am 26. September 1818 ließ Jacob Herz Beer seinen Sohn Meyerbeer in Venedig wissen:

Anbey ein Gedicht zu Wolff (d.i. Wilhelm Beer) von Weber und Gubitz verfertigt bey Hans waren eine Menge Ministr zu gegen die ich dazu eingeladen und hat da es ganz was Neues wahr vielen Beifall erhalten auch der Englische gesandte mit seiner ganzen Familie war zugegen.

Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847) Sammlung T.K.

Felix Eberty (1812-1884) erinnert sich in seinen Erinnerungen eines alten Berlins an die Hochzeit im Hause Beer.

Genau erinnere ich mich der Trauungen Wilhelm und Heinrich Beers, die sich rasch folgten und beide in einem stattlichen Hause vollzogen worden, das die Familie in der Spandauer Straße besaß. Wir Kinder wurden dahin mitgenommen. Mir schwebt noch das Bild einer erhöhten Estrade mit einem Baldachin in einem großen Saale voll geputzter Menschen vor. Die alte Frau Beer stand in größtem Staate gar majestätisch dabei, und ein türkischer Turban mit einer Reiherfeder, den sie auf dem Kopfe trug, imponierte mir gewaltig. Sonst weiß ich von der Feier nichts, als dass sich mit einem Male der Geruch des herrlichsten Kaffees verbreitete und dass die Herren und Damen mit Tassen umherstanden.

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Heinrich und Betty Beer wirkten bei musikalischen Aufführungen in den Musiksalons der Familien Beer und Mendelssohn Bartholdy mit. Ganze Opern wurden mit Begleitung des Klaviers oder eines Orchesters aufgeführt. Einer der häuslichen Hits: die 54. Oper Domenico Cimarosas (1749-1801), die Opera buffa Il matrimonio segreto. Im Hause Mendelssohn Bartholdy sangen Heinrich und Betty In Felix‘ Die Soldatenliebschaft und Die Heimkehr aus der Fremde mit. Betty als Sopran und Heinrich als Tenor. Felix Vater Abraham Mendelssohn Bartholdy war eine Vertrauensperson Heinrichs. Er versuchte vergeblich, Einfluss auf den flatterhaften und unberechenbaren Heinrich zu nehmen.

Während der Abwesenheit Meyerbeers von Berlin führten Heinrich und Wilhelm Beer Verhandlungen über die Aufführungen der Meyerbeerschen Opern in Berlin. Gesprächspartner war in erster Linie Wilhelm Friedrich von Redern (1802-1883), seines Zeichen Generalintendant der Königlichen Bühnen Berlins. Redern war einer der Schlüsselfiguren im kulturellen Leben Berlin. Er diente den preußischen Königen Friedrich Wilhelm III., Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm I. Redern kannte die Familie Beer seit seiner Kindheit. Die Familien mochten und besuchten sich gegenseitig. Redern erbaute sich am Pariser Platz ein Palais, das berühmt für seine Gemäldesammlung war. Heute befindet sich dort das Hotel Adlon. Der komponierende Schöngeist Redern war zwar ein loyaler Royalist, der es sich aber ein Jahr vor seinem Ableben nicht verkneifen wollte, seine sicherlich hoch interessanten Memoiren in der Öffentlichkeit auszubreiten, was natürlich in gewissen Kreisen für Aufregung sorgte, mit dem Resultat, dass das Ganze zur Verschlusssache wurde, obgleich die pikanten Details und freimütigen Charakterzeichnungen königlicher Hoheiten sicherlich auf ein breites Publikumsinteresse gestoßen wären. Redern plauderte in seinen Lebenserinnerungen eines preußichen Oberstkämmerers und Generalintendanten aus den royalem Nähkästchen. Erst 2003 wurden die Memoiren Rederns veröffentlicht. Darin erzählt uns Redern auch so manche Geschichte aus dem Hause Beer, natürlich aus seiner Wahrnehmung und Perspektive heraus, ganz frank und frei. Als es 1832 zur Berliner Erstaufführung des Robert kam, reiste Meyerbeer erst gut zwei Wochen vor der geplanten Premiere am 20. Juni 1832 aus London an. In Berlin waren die Proben bereits in vollem Gange, und Redern war ob des Engagements seitens der Familie nicht wirklich begeistert. Redern schreibt in der dritten Person.

Man kann nicht gerade sagen, daß die Familie Meyerbeer die Aufführung der neuen Oper leicht gemacht hätte. Es war nicht allein Giacomo, der aufgeführt werden wollte, es war die ganze Familie, die sich in ihrem Triumphe zeigen wollte. Michael Beer, der Dichter, schickte dem Generalintendanten gleich nach dem der Klavierauszug des Robert, den Giacomo aus Paris dem Grafen zukommen ließ, ein Stück Schwert und Hand, die Brüder Heinrich und Wilhelm Beer wohnten später allen Proben des Robert bei und mischten sich derart in die Inscenesetzung, daß der Generalintendant gezwungen ward, sich solches ganz höflichst zu verbitten, worauf sie ihn dann beim Fürsten Wittgenstein (d.i. Wilhelm zu Sayn-Wittgenstein, 1770-1851, ein Vertrauter Friedrich Wilhelm III.) verklagten. Ja selbst die kluge, taktvolle Mama konnte sich in ihrem Mutterglücke nicht enthalten, nach der ersten Aufführung dem General-Intendanten ihre Ratschläge wegen der Wiederholungen an die die Hand zu geben, wie diese am zweckmäßigsten sollten eingetheilt werden u. s. w.

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Heinrichs lockerer Umgang mit seinem üppigen Vermögen ermöglichte ihm 1829, den Teufelsgeiger Nicolò Paganini (1782-1840), der sich auf einer umjubelten Konzertreise befand, privatissimo zu engagieren. Um wenigstens einen Teil der Unkosten zu generieren, verlangte er für ein Billet üppige 2 Taler Der reißende Absatz war dennoch garantiert, denn tout Berlin war verrückt nach Paganini. Die Anwesenheit Paganinis bot reichlich an Gesprächsstoff. Das erste öffentliche Konzert fand am 4. März 1829 statt. Fanny Hensel (1805-1847) war überaus fasziniert und notiert in ihr Tagebuch:

Paganinis erstes Concert. Ich werde mir Zeit nehmen, mehr über dieses höchst wunderbare, unbegreifliche Talent, über diesen Menschen, der das Ansehen eines wahnsinnigen Mörders, und die Bewegungen eines Affen hat hat. Ein übernatürliches, wildes Genie. Er ist höchst aufregend und pikant.

Während seines Gastspiels in Berlin dinierte Paganini mehrfach im Hause Mendelssohn Bartholdy in der Leipziger Straße. Auf dem Grundstück befindet sich heute der Bundesrat. Felix reiste zu dieser Zeit durch England und Schottland und wird über alle Neuigkeiten aus Berlin auf dem Laufenden gehalten. Im Juli 1829 lässt Fanny ihren Bruder wissen:

Alle Briefe, die Du heute empfängst, werden von Paganini widerhallen, was soll ich noch hinzufügen? Dies: daß ihm nämlich Beckchen (d.i. Rebecka Mendelssohn Bartholdy, 1811-1858) bei Betty gräulich die Cour gemacht hat. Nachdem sie mehreremal zu ihm gegangen war, u. ihn angeredet hatte, auch Apfelsinen, die er gemantscht, gegessen hatte, gingen wir zu Tisch. Bei uns war ein Platz leer, u. als der große Heinrich im Triumpf seinen Minister Paganini hereinführte, sprang das Zöpchen auf, lief ihm entgegen, u. bat ihn, sich zu uns zu setzen.

Sammlung T.K.

Am 26. September 1831 stirbt in Teplitz im Alter von gerade einmal 10 Jahren Ludwig Anton Beer an den Folgen einer Hirnhautentzündung. Es war das einzige Kind des Paares Betty und Heinrich Beer. Betty war demoralisiert, denn fünf Monate zuvor hatte sie den Verlust ihrer Mutter zu beklagen Die Ehe zwischen Betty und Heinrich existierte zu dieser Zeit nur noch auf dem Papier, wie aus einem Brief Lea Mendelssohn Bartholdys an ihre Cousine in Wien zu erfahren ist.

Wie man dem Tode nicht entläuft, davon erfahre ich aber einen höchst betrübenden, mich ganz niederschlagenden Beweis. Betty und Heinrich Beer sind der Cholera wegen länger, als nöthig, in Teplitz geblieben, und haben das unaussprechliche Unglück gehabt, dort ihr einziges Kind an einer Gehirnentzündung zu verlieren. Es war ein sehr schöner Knabe von 10 1/2 Jahren, üppig von herber Gestalt und Lebenskraft, ihr ganzer Abgott und der einzige Vereinigungspunkt ihrer sonst sehr auseinander gehenden Lebenswege. Wie gräßlich ich das Geschick der armen Betty finde, die vor 5 Monaten auch ihre vortreffliche Mutter verlor. Sie verliert Alles in diesem hoffnungsvollen Knaben. Ich fürchte auch den Eindruck den es auf meinen Mann machen wird, der sehr an diesem seinem Großneffen hing.

Sammlung T.K.

Zum Freundeskreis Heinrich Beers zählte der Philosoph Georg Friedrich Wilhelm Hegel (1770-1831), der einen mitfühlenden Kondolenzbrief schrieb.

Es ist mit unendlichem Schmerz, daß ich diesen Abend erfahren muß, welch ein ungeheurer Schlag des Unglücks Sie, mein lieber, wertester Freund, in Gemeinschaft mit Ihrer lieben, vortrefflichen Frau, betroffen hat. Man hat es bis zum Abend mir verborgen, ich hätte sonst sogleich versucht, Sie zu sprechen, nicht, um Ihnen Worte des Trostes, – denn ich wüßte dermalen noch keine, die in diesem unmittelbaren, so neuen Leid Platz greifen könnte, – sondern nur meine Mitempfindung zu bringen, Ihren Schmerz zu teilen und solchen unersetzlichen Verlust mit zu beklagen. Ich hätte Sie nur das fragen können, was ich meine Frau bei einem ähnlichen aber frühen Verlust des noch einzigen Kindes fragte, ob sie es vorziehen könnte, das Glück, ein solches Kind gehabt und in seiner schönsten Zeit gehabt zu haben und dessen verlustig zu werden oder aber dieses Genusses gar nicht teilhaftig geworden zu sein. Ihr Herz wird dem ersten Falle, der der Ihrige ist, den Vorzug geben. – es ist vorbei! – Es bleibt Ihnen aber die Empfindung jenes Glücks, die Erinnerung des lieben Knaben, seiner Freuden, seiner glücklichen Stunden, seiner Liebe zu Ihnen und zu seiner Mutter und seiner kindlichen Sinnigkeit wie seine Gutmütigkeit und Freundlichkeit gegen jeden. Seien Sie nicht undankbar gegen die Befriedigung und das Glück, das Sie genossen; behalten Sie dessen Andenken lebhaft und fest vor sich gegen den Verlust der Gegenwart; so ist Ihnen der Sohn und der Genuß, den Sie in dem Besitz desselben gehabt, unverloren. Es ist dies ein Moment Ihres Lebens und der harten Lebenserfahrung, in welchem Ihre im ruhigen Verlauf des Lebens auf den höchsten Wert anzuschlagende Gutmütigkeit und Menschenliebe auch die innere Stärke eines noch tiefern Grundes zu bewähren hat, damit das Vermögen des Geistes, auch solches zu ertragen, sich beweisen kann. Ich drücke Ihnen mit dem innigsten Schmerze der Freundschaft die Hand: – ich werde Sie morgen vormittag sehen, ob ich Sie sprechen kann. Sprechen Sie auch Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin meine lebhafteste Mitempfindung aus. Meine Frau, tief erschüttert von solcher Nachricht, trägt mir auf, Sie und Ihre Frau Gemahlin ihres innigsten Anteils zu versichern.

Ludwig Beer wurde im Familiengrab auf dem Jüdischen Friedhof an der Schönhauser Allee beigesetzt. Hegel verstarb am 14. November 1831 an den Folgen der Cholera.

Photo: T.K.

Am 30. Dezember 1832 dinierte Felix Mendelssohn Batholdy bei Betty und Heinrich Beer in der Behrenstraße 22. Ein durchaus historisches Datum, denn Felix komponierte im Verlauf des Abends den langsamen Satz des Konzertstückes in f-Moll für Klarinette, Bassethorn und Klavier, op. 113, bekannt mit dem bezeichneten Untertitel Die Schlacht bei Prag, das er dem ausgezeichneten Klarinettisten Heinrich Joseph Baermann (1784-1847) widmete.

Beim Adagio wollte ich Dir eine Erinnerung an das letzte diner bei Heinrich Beer mitgeben, wo ich es componiren mußte, die Clarinett malt meine Sehnsuchtsgefühle, während die Bewegung des Bassehornes mein Bauchknurren vorstellt.

Leider wissen wir nicht, womit Felix seinen knurrenden Magen gestillt bekam.

Sammlung T.K.

1835 kam es zu einem erneuten Skandal im Hause Beer. Heinrich unternahm mit Betty eine längere Reise nach Wien, wo er eine Affäre mit einer Schauspielerin hatte. Heinrich, der augenscheinlich ein einnehmendes Wesen hatte, lieh sich von Therese Peche (1806-1882) einen nicht unerheblichen Geldbetrag und machte sich aus dem Staube und dachte, es würde schon alles gut gehen, was aber ein Trugschluss war. Jene Therese Peche, ein Ensemblemitglied des Burgtheaters, dinierte im Hause Mendelssohn Bartholdy, und die unvermutete Wiederbegegnung mit Heinrich dürfte zu atmosphärischen Störungen während des Abends geführt haben, für Heinrich war es peinlich, wenn überhaupt. Gegenüber ihrer Cousine Henriette von Pereira-Arnstein (1780-1859) in Wien läßt Lea die Ereignisse des Abends Revue passieren und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund

Eben verlässt mich das von Dir empfohlne hübsche angenehme Mädchen, Mlle. Peche, und die Haare stehen mir immer noch über ihre mitgetheilte Geschichte mit Heinrich Beer zu Berge, liebste Freundin! Ich traute ihm zwar längst alle Abgeschmacktheit, Dummheit, Ausschweifung, Verschwendung zu, aber einen Leichtsinn der zur niederträchigsten Schlechtigkeit führt, doch nicht! Es hat mich wirklich niedergedonnert, und meinen redlichen Mann innerlichst betrübt und ergriffen. Wollte Gott, das arme liebe Mädel wäre erst wieder zu ihrem Gelde! Septimus (d.i. Abraham Mendelssohn Bartholdy) schreibt heut noch Deinem Louis (d.i. Ludwig von Pereira-Arnstein (1803-1858)), damit er möglicherweise die Wechsel auf Ebers dort einkaßire; da die Verfallzeit aber längst vorüber ist, so zweifle ich an dem Gelingen, und sehe dann wirklich keinen Ausweg, als Beer zu verklagen! was freilich auch nicht viel helfen wird, da er den größten Theil seines Vermögens durchgebracht hat und schon lange v. seinem Bruder (d.i. Wilhelm Beer) aus der Handlung gestoßen wurde. (…) Vor 8 Tagen hatten wir sie zum diner hier, und da sie niemand v. allen Anwesenden kannte und ich des fatalen Heinrichs für alles was Schauspiel heißt, glaubte ich es recht gut zu machen, wenn ich sie neben ihm placirte, was mir wie ich jetzt weiß, doppelt schlecht gelang, denn 1.) war er sehr verlegen sie bei uns zu finden, was ihm ganz überraschend war, und 2.) schien es Betty’n unangenehm, da sie wohl in Wien etwas gemerkt haben mochte. Kurz, ich habe die Peche heut aus gutem Herzen recht um Verzeihung gebeten, und die ganze abscheuliche Geschichte tut mir in hohem Grade weh! Meine Kinder behaupten immer, wenn wir von der Liebenswürdigkeit und dem Werth der meisten Mitglieder unserer Familie sprechen, Jakob Itzig und Heinrich Beer verdürben die Facade. Dieser abscheuliche Schlingel war mir v. je ein Greuel, denn ich behauptete stets, ein so bodenloser Leichtsinn mit dieser Dummheit gepaart, mache zu allem fähig.

Jakob Itzig (1764-1838) war ein Onkel Lea Mendelssohn Bartholdys. Jener Jakob hauchte sein Leben in einer sehr speziellen Umgebung aus. Pikanterweise endeten seine letzten Atemzüge in einem öffentlichen Hause, sprich Bordell. La petite mort. Immerhin ist er für Lea ein würdiges Gegenstück zu Heinrich Beer. Ja, ja die Moral.

Seine Liederlichkeit, Verschuldung und Betügereien hörten nie auf, und so hat der Tod ihn in einem öffentlichen Hause ereilt, wo er von niemand gekannt. (…) Die ganze Stadt spricht mit Abscheu von diesem unwürdigen Tode, und es ist ein gräßlicher Gedanke, wie solch Subjekt in der langen Reihe ehrenwerther, oft höchst ausgezeichneter Geschwister entstehen und eine schmähliche Laufbahn so beschließen konnte.

Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert.

1838 wurde es der Familie zu bunt, Gefahr lag im Verzuge. Heinrich wurde entmündigt und unter Kuratel gestellt, was bloß nicht an die Öffentlichkeit dringen sollte. Wilhelm Beer versuchte noch, seinen Einfluss geltend zu machen, was aber vergebens war. In den Zeitungen erschien eine sogenannte Prodigalitätserklärung , in der Heinrich sich zu seiner Verschwendungssucht zu bekennen hatte. Niemandem war es fortan gestattet, mit Heinrich finanzielle Geschäfte einzugehen.

Im Juli 1841 sorgte Heinrich erneut für familiäre Turbulenzen. Er hatte sich neu verliebt und spielte mit dem Gedanken, sich von Betty scheiden zu lassen. Meyerbeer versuchte, zwischen Betty und Heinrich zu vermitteln, was wohl fruchtete, denn in der Familienkorrespondenz gibt es zu dieser Angelegenheit keine Bezüge mehr.

Am 22. Oktober 1842 verstarb Heinrich plötzlich und unerwartet an einem Schlaganfall. Unsäglich groß war der Schmerz der Mutter. Drei ihrer vier Söhne hatte sie zu Lebzeiten zu beklagen. Michael starb 1833, Heinrich 1842 und Wilhelm 1850.

Heinrich Heine, ein großer Verehrer Amalie Beers, kondolierte am 2. November aus Paris.

Grabplatte Heinrich Beer auf dem jüdischen Friedhof an der Schönhauser Alle. Photo T.K.

Hochgeehrte Freundin! Gestern Abend hat mir unser theurer Meyerbeer die trübe Nachricht mitgetheilt von dem Verluste, den Sie erlitten. Ich eile, Ihnen mein Beyleid zu bezeugen, und ich bitte Sie, versichert zu seyn, daß Niemand mit größerem Mitgefühl jenen Kummer theilt, der Sie betrifft. Von Tröstung kann hier nicht die Rede seyn; nur Narren trösten und nur Menschen ohne Herz lassen sich trösten. Ich gehöre nicht zu ersteren und Sie nicht zu letzteren. Wenige Menschen tragen ein so reiches und gefühlvolles Herz in der Brust wie Sie; – und ich kann mir daher auch vorstellen, wie viel Sie leiden müssen! (…) Sie leben geehrt und geliebt in der Mitte einer blühenden Familie, deren Zukunft Ihnen keine Sorgen zu machen braucht, und Sie sind die Mutter eines Meyerbeers, dessen Glück und Ruhm ans Fabelhafte gränzt. Möge der Himmel Sie bald wieder herzlich erheitern! Ich hoffe, Sie nächstes Jahr gesund und froh hier in Paris zu sehen. (…) Ich möchte in diesem Augenblick bei Ihnen seyn und Ihnen schweigend die Hand küssen. Heinrich Heine.

Als Lea Mendelssohn Bartholdy ihrer Cousine von Heinrichs Ableben berichtet, sinniert sie über Schein und Sein der Beerschen Familie. Nach Außen hin wurde immer Haltung und Contenance bewahrt, nur, Heinrich ließ sich nicht bändigen, er fiel aus dem Rahmen. zum einen bedingt durch die fortschreitende Geschlechtskrankheit, zum anderen sind die Ursachen seines Fehlverhaltens auch psychologischer Natur. Als er etwa fünf Jahre alt war, begann die Karriere seines Bruders Giacomo, der zum Star der Familie wurde. So etwas kann wurmen und zu Reaktionen führen, gerade wenn sie mit Eifersucht daher kommen. Eine wirklich tragische Biographie.

Heinrich Beers plötzlicher Tod (er ward auf der Straße vom Schlage getroffen und starb wenige Tage darauf) hat ihn plötzlich zum Gegenstand des Mitleids und Bedauerns erhoben. Die Mutter, welche ihn, eben so wie die Frau in längster Zeit nicht gesehen, etablirten sich an seinem Bett und schienen in Verzweiflung, er hat niemand mehr erkannt und konnte also auch niemand mehr für dies tardive Beileid Dank wißen. Die umhergesandten Karten reden von einem unaussprechlichen Verlust! Damit kontrastirte etwas, daß er bei einem Schneider gewohnt und für 4 Groschen dinirt hatte. Sein hinterlaßnes Vermögen betrug noch über 100,000 rh. Freilich brachte dieser merkwürdige Verschwender sein ihm ausgesetztes Gehalt immer im Augenblick des Empfangs durch, und trotz der ProdigalitätsErklärung fand er Mittel, in Einem Jahr noch 7000 rh. Schulden zu machen; mit einiger Klugheit und Guthmüthigkeit wäre indeß doch möglich gewesen, ihm eine angemeßne Existenz zu sichern. Die Mutter ist im hohen Grade erschüttert, viel mag dazu beitragen, daß durch diesen unerwarteten Todesfall die ganze Lage so veröffentlicht, und sein Leben wie sein Ende ein Skandal geworden, denn im Testament hat er unter andern 10 natürlichen Kindern und vielen Damen Legate ausgesetzt. Man sagt, Betty sei nicht so situiert, wie man es dem noch immer großen Vemögen zufolge hätte erwarten können, da die zwei erbenden Brüder so sehr reich sind. Mich dauert die Mutter trotz allem, was ihre unweise Erziehung und Behandlung auch verschuldet haben mag; denn zu einem nicht abzuweisenden Naturgefühl gesellen sich noch Scham und Vorwurf. Das ganze Theaterpersonal folgte dem Begräbniß; um diese Menschen hat ers wirklich verdient, denn die waren stets Gegenstand seiner Anbetung und Verschwendung. Man sagt, auf die Aeußerung einer Sängerin, daß sie Leberwurst liebe, habe er ihr einen mit Centnern befrachteten Wagen voll geschickt & so forth.

Sammlung T.K.

Nach dem Ableben Heinrichs kümmerten sich Minna und Giacomo um ihre Schwägerin Betty. Minna und Betty fuhren zusammen in die angesagten Kurorte wie Karlsbad, Bad Gastein oder Baden-Baden. Minna kränkelte zusehends, und im September 1850 war mit dem Schlimmsten zu rechnen. Meyerbeer, der in Paris weilt, wird über Betty Gesundheitszustand über den Sekretär seiner Mutter, Georges Frédéric Burguis auf dem Laufenden gehalten. Tagebucheintrag vom 2. September 1850:

Durch Burguis Nachricht von der schmerzlichen Agonie meiner armen Schwägerin Betty. Gott der Allmächtige stehe ihr bei.

Am 5. September 1850 stirbt Betty Beer. Es ist Meyerbeers 59. Geburtstag, den er im belgischen Spa verbringt. Zwei Tage später erreicht ihn die traurige Nachricht aus Berlin. Tagebucheintrag vom 7. September:

Sonnabend … Die heutige Nacht wieder sehr unruhig geschlafen und böse geträumt. Es scheint wirklich, als ob ch während der Brunnenkur durchaus nicht das Abendarbeiten vertragen kann; denn so oft ich dies tue, habe ich eine böse Nacht. Ich werde also die 14 Tage, welche ich hier noch bleiben will, leider jeder Arbeit entsagen müssen. … Heute erhielt ich die traurige Nachricht, daß meine arme Schwägerin Betty den 5. … nach schrecklichem Leiden gestorben ist. Gott sei ihrer Seele gnädig und schenke ihr ewigen Frieden, ewige Seeligkeit.

Grabplatte für Betty Beer und ihre Mutter Recha Meier, geb. Mendelssohn. Photo T.K.

Heinrich Beers Freundschaft mit Hegel ging sogar in die Literaturgeschichte ein. In den 1854 verfassten Geständnissen Heinrich Heines, mit den Charakteren der Familie Beer bestens vertraut, setzt Heinrich Heinrich ein nachhaltiges Denkmal, natürlich auf seine ironische Art und Weise.

Ich sah, wie Hegel mit seinem fast komisch ernsthaften Gesichte als Bruthenne auf den fatalen Eiern saß, und ich hörte ihn Gackern. Ehrlich gesagt, selten verstand ich ihn, und erst durch späteres Nachdenken gelangte ich zum Verständnis seiner Werke. Ich glaube, er wollte gar nicht verstanden sein und daher sein verklausulierter Vortrag, daher vielleicht auch seine Vorliebe für Personen, von denen er wußte, daß sie ihn nicht verständen, und denen er umso bereitwilliger die Ehre seines nähern Umgangs gönnte. So wunderte sich jeder in Berlin über den intimen Verkehr des tiefsinnigen Hegel mit dem verstorbenen Heinrich Beer, einem Bruder des durch seinen Ruhm allgemein bekannten und von den geistreichsten Journalisten gefeierten Giacomo Meyerbeer. Jener Beer, nämlich der Heinrich, war ein schier unkluger Gesell, der auch wirklich späterhin von seiner Familie für blödsinnig erklärt und unter Kuratel gesetzt wurde, weil er anstatt sich durch sein großes Vermögen einen Namen zu machen in der Kunst oder Wissenschaft, vielmehr für läppische Schnurpfeifereien seinen Reichtum vergeudete und z. B. für sechstausend Taler Spazierstöcke gekauft hatte. Dieser arme Mensch, der weder für einen großen Tragödiendichter, noch für einen großen Sterngucker, oder für ein lorbeerbekränztes musikalisches Genie, einen Nebenbuhler von Mozart und Rossini, gelten wollte und lieber sein Geld für Spazierstöcke ausgab – dieser aus der Art geschlagene Beer genoß den vertrautesten Umgang Hegels, er war der Intimus des Philosophen, sein Pylades, und begleitete ihn überall wie sein Schatten. Der ebenso witzige wie talentbegabte Felix Mendelssohn suchte einst dieses Phänomen zu erklären, indem er behauptete: Hegel verstände den Heinrich Beer nicht. Ich glaube aber jetzt, der wirkliche Grund jenes intimen Umgangs bestand darin, daß Hegel überzeugt war, Heinrich Beer verstände nichts von alledem, was er ihn reden höre, und er konnte daher in seiner Gegenwart sich ungeniert allen Geistesergießungen des Moments überlassen.

Auch in Karl von Holteis Charpie. Eine Sammlung vermischter Aufsätze. Erster Band (1866) wird des armen Heinrichs und seiner Potenz gedacht. Im Kapitel Mama Beer gibt Holtei eine Anekdote zum Besten, die natürlich frei erfunden war.

Mama Beer zählte noch einen vierten Sohn, Heinrich mit Namen. Von dem hab‘ ich nicht viel zu berichten. Es cursirte ein Geschichtchen echt berlinischen Schlages, diesen Heinrich betreffend. Ein Fremder hätte der Mutter Glück gewünscht, daß sie den Gelehrten, den Dichter, den Componisten zu Söhnen habe; nur der Maler fehle ihnen. Dafür ist der Pinsel wenigstens vorhanden, wäre ihre Erwiederung gewesen. Wer die Verstorbene kannte, weiß auch, daß diese Anekdote erfunden ist. Denn so hart würde die alte Dame von Heinrich, trotz seiner Schwächen, nie geredet haben; und dann war dieser Nichts weniger als ein Pinsel. Ich wage kein Urtheil über ihn. Ich erwähne nur einen Umstand, der viel Gerede und viel Erstaunen erregte. Heinrich liebte zwei Dinge vorzugsweise: das Theater (das lag im Blute) und das Kartenspiel. Nicht etwa, daß er ein Hasardspieler von Profession gewesen wäre! Nein, er pflegte seine solide, spießbürgerliche, philisterhafte „Partie“, – mit wem aber pflegte er diese? Wer waren die drei Männer, die gewöhnlich an seinem Spieltisch saßen? Ein Kaufmann Sparkäse, ein Stallmeister Schur – und – und jetzt kommt der Gegenstand der Erstaunens: – Hegel, der Philosoph. „Das Sein ist das Nichts, und das Nichts ist das Sein“.

Wird ergänzt.

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